Vierjährige und die Endlichkeit allen Seins
Um mein Hexenhäuschen herum habe ich einen kleinen Garten, der uneingeweihten Zeitgenossen vielleicht ein wenig biotopisch erscheinen könnte. Nun hatte mein Nachbar in einem Anfall von Schöpfungsdrang beschlossen, seine Garage, die direkt an der Grundstücksgrenze stand, abzureißen und stattdessen einen Großteil seines Gartens zu pflastern. Sehr adrett, sehr praktisch, mit einer großen Sichtlücke an jener Stelle, an der bis vor kurzem noch die auf meiner Seite mit Kletterrosen berankte Garage stand.
Die Rosen waren nach der Abrissaktion verschwunden, was mich aber nicht daran hinderte, die so entstandene Lücke auf meiner Seite des Gartens neu aufzubereiten und etwas zu säen, was sich laut Tütenaufdruck „Blühende Hecke“ oder so ähnlich nannte: eine bunte Mischung hochwachsender Sonnenblumen, gepaart mit einigen Kletterpflanzen und langstiligen Sommerblühern. Ich muss nicht extra erwähnen, dass ich die Neusaat in der Folgezeit liebevoll morgens und abends goss und mich auf das freute, was da kommen mochte.
Bis ich eines Tages zufällig den kleinen Nachbarsjungen, er mag vier oder fünf Jahre alt sein, dabei erwischte, wie er auf der Ansaat Planierraupe spielte. Mit akribisch kleinen Schritten stampfte er alles, was da aus dem Boden kam, nieder. Meine wenig begeisterte Reaktion fand er einigermaßen lustig. Ich erwog kurz den Erwerb einer Selbstschussanlage zwecks Sicherung meines Gartens, begriff aber, dass ich deutlich seltener zu Hause war als er und dass es mir kaum möglich sein würde, mit legalen Mitteln dieses Fleckchen Garten vor seinem Zugriff zu schützen.
Versteht mich nicht falsch. Ich halte sein Verhalten für einigermaßen normal, jedenfalls gemessen an seinem Alter. Wer als älteres Geschwisterteil groß geworden ist, wird das kennen: Man bastelt voller Stolz an irgendetwas, nur um dann zu sehen, wie die lieben Kleinen angerobbt kommen und mit einer Handbewegung Bauklotz-Türme, Puzzles oder sonstige kreative Eigenleistungen dem Boden gleichmachen. Sie sind noch nicht in der Lage, eine vergleichbare Kreativität an den Tag zu legen, aber ihre Fähigkeit, das Produkt des fremden Schaffens zu zerstören, verleiht ihnen eine Macht, die der Produktivität zumindest nahe kommt. Honi soit qui mal y pense – oder auf Deutsch: Das gehört zum Wachstumsprozess nun einmal dazu und sollte deswegen nicht vorschnell verurteilt werden.
Allerdings werde ich kleinlich, wenn fortgeschrittene Jugendliche oder Erwachsene sich noch der gleichen Mechanismen bedienen. Der Idiot, der im letzten Winter meine Website gekapert hat, nur um sie dem Boden gleichzumachen, kann nicht unbedingt mit meinem Verständnis rechnen. Gut, er konnte nicht wissen, dass mir gerade erst die Festplatte mit dem Backup abgeschmiert war und ich noch nicht dazu gekommen war, ein neues Backup anzulegen. Damit gingen Jahre an Recherche, Fotos und Content den Bach runter. Aber ich gehe stark davon aus, dass er (oder sie) älter als vier Jahre gewesen sein muss, um sich in die Installation zu hacken und die Datenbank auf null zurückzusetzen.
Wer Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ gelesen hat, wird sich an den Spruch „Macht’s gut und danke für den vielen Fisch“ erinnern, mit dem die Delphine sich angesichts des drohenden Weltuntergangs von den Menschen verabschiedeten. Diese Haltung im Angesicht der Zerstörung hat etwas überaus Tröstliches: Es macht ja keinen Sinn, irgendetwas nachzutrauern, was ohnehin unrettbar verloren ist.
Und wem Douglas Adams irgendwie zu profan ist, dem kann ich immer noch mit Kant kontern: „Alle falsche Kunst, alle eitle Weisheit dauert ihre Zeit; denn endlich zerstört sie sich selbst, und die höchste Kultur derselben ist zugleich der Zeitpunkt ihres Unterganges.“ Mein lieber Hacker hat da nur ein klein wenig vorgegriffen. Also: Danke für den Fisch!